Volksblatt

05.04.2015 13:37

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„Es wird mich immer begleiten“

Im September 2012 bekam Marlies Schagerl die Diagnose Krebs. Ein bösartiges Melanom. Im Krankenhaus erfuhr die damals 39-Jährige, dass sie auch an Brustkrebs erkrankt ist. Doch was die junge Frau in sich entdeckte, war nicht Verzweiflung und Resignation, sondern Kraft und Überlebenswillen. Ihre Geschichte ist eine von vielen, die Thomas Hartl in seinem Buch „Lebe! Diagnose Krebs als Chance zur Veränderung“ veröffentlicht hat. Darin kommen Betroffene zu Wort, die der schweren Krankheit eine andere Seite abgewinnen.

 

Text: Mariella Moshammer

Ein kleines Flämmchen bewahrte Marlies Schagerl vor einem tiefen Fall. Paradoxerweise entzündete es sich genau in jenem Moment, als sich ein tiefes Loch unter ihr auftat.

Hautkrebs und Brustkrebs. Das war 2012. Heute kann Marlies Schagerl über ihre Krankheit reden, hat ihre Geschichte im Buch „Lebe!“ veröffentlicht.

„Es war für mich selbst eine heilsame Möglichkeit, das in einer kleinen, kompakten Ge

schichte aufzuschreiben. Die habe ich in einem Rutsch geschrieben. Das war befreiend.“

Autor Thomas Hartl lässt Betroffene erzählen, 24 Menschen, die die Diagnose Krebs bekommen haben und die leben. Jeder hat sein Schicksal auf seine Art gemeistert und jeder hat der Krankheit Seiten abgewonnen, die für Menschen, die nicht betroffen sind, kaum möglich scheinen.

„Mir hat die andere Sicht auf die Krankheit sehr geholfen, mit dem Schock der Diagnose umzugehen“, erzählt Marlies Schagerl: „Weil ich für mich von Anfang an gesehen habe, es wird jetzt nicht alles nur schlecht sein. Es hat mir Kraft gegeben zu wissen,

es wird auch positive Veränderungen geben, ich werde daran wachsen. Ich habe recht schnell eine richtige Energie entwickelt, um den Kampf aufzunehmen.“ Das Loch habe schon gedroht, in das sie zu fallen schien, aber die gebürtige Niederösterreicherin, die jetzt in Linz lebt, hat recht schnell ihre Kräfte gebündelt und Positives aus ihrer Erkrankung gezogen. „Das hat mir während der Chemotherapie geholfen, die ich vor meiner Operation hatte, und auch in weiterer Folge.“ Obwohl mit jeder Chemotherapie Gift in sie hineintropfte, ging die damals 39-Jährige auch hier mit ganz anderen Gedanken heran: „Ich bin nicht an meine Grenzen gekommen. Ich habe es angenommen, habe gewusst, das hilft mir jetzt. Ich war fest der Überzeugung, dass das was mir passiert, mir helfen wird.“

„Ich habe gelernt, Freude zu empfinden“

Viele der Menschen, die in Hartls Buch von ihrer Erkrankung und ihrem Leben damit berichten, kennen sich aus einer Selbsthilfegruppe der Krebshilfe Oberösterreich — hier fand Marlies Schagerl auch neue Freunde.

„Die Krebshilfe und die Selbsthilfegruppe haben mir sehr geholfen. Der Kontakt in der ersten Zeit zur Krebshilfe war immens wichtig — die erste Orientierung in diesem Schockzustand, in dem ich noch war und in

der weiteren Folge die Selbsthilfegruppe ... das ist für mich nach wie vor ein wichtiger Rückhalt.“ Zur Selbsthilfegruppe geht Marlies Schagerl heute noch, unternimmt mit den neu gewonnen Freunden auch viel. „Das Thema Krebs verbindet uns natürlich, aber wenn wir uns treffen, ist das nicht so, dass wir über unseren Zustand jammern und sagen, es sei alles so schlecht. Wir erzählen schon alle, wie es uns aktuell geht, aber unterm Strich haben wir immer nach so

einem Treffen irrsinnig viel gelacht, nehmen neuen Mut und neue Kraft mit. Jeder geht anders um mit der Erkrankung.“ Jeder könne sich etwas von den anderen mitnehmen. „Wir haben einfach auch Spaß. Und das ist etwas, was sonst oft zu kurz kommt“, so Schagerl: „Ich für meinen Teil kann sogar behaupten, ich habe früher nicht soviel gelacht, wie seit ich krank geworden bin. Das klingt

ein bisschen paradox, aber ich habe einfach gelernt, Freude zu empfinden, zu lachen und mich selbst auch nicht immer zu ernst zu nehmen.“

„In jeder Geschichte ist eine große Kraft“

Generell habe die Zeit, in der sie akut krank war, Marlies Schagerl verändert. Bis heute

unterteile sie die Zeit in „davor“ und „danach“. „Ich sehe viele Dinge viel klarer. Ich war sicher angepasster früher, da habe ich ,die Krot gschluckt', wenn mir etwas nicht gepasst hat. Heute überhöre ich meine Bedürfnisse nicht mehr.“

Ein Thema sei der Krebs, trotz überstandenen Operationen, Chemotherapien und anderen Behandlungen, aber noch immer. „Ich bin nicht in der Lage zu sagen, ich bin geheilt, ich bin auch noch in der Fünf-Jahres-Frist, nach der man sagt, man ist geheilt, aber auch dann ist das noch nicht sicher. Ich fühle mich soweit, dass es mir jetzt gut geht, und das ist schon ein Sieg, den ich errungen habe.“ Nachdem sie die Diagnose Krebs erhalten hat,

stellte sie einige ihre Verhaltensmuster auf den Kopf. „Ich habe dafür gesorgt, dass es mir so gut wie möglich geht. Habe Dinge verändert — ich rauche nicht mehr, ich mache mehr Sport, ernähre mich bewusster, schaue, dass es mir psychisch gut geht.“

Doch ganz ist der Krebs nicht aus ihrem Bewusstsein verschwunden. „Es wird ein Teil von meinem Leben bleiben, aber ich denke

und hoffe auch, dass es immer weniger Platz in meinem Leben einnimmt. Es ist auch wichtig und gesund, dass ich dieses Thema immer mehr loslassen kann. Aber vergessen werde ich es sicher nicht.“

Marlies Schagerl geht es heute gut, die 42-Jährige ist froh, das Buch gemacht zu haben. „In jeder einzelnen Geschichte ist eine große Kraft. Auch für Nicht-Betroffene ist es sehr lesenswert. Man lernt von dieser Krankheit, dass man wirklich viel schaffen kann in schwierigen Situationen. Es ist sehr wohl sehr vieles möglich, auch wenn anfangs alles aussichtslos scheint.“ Authentisch und auch ungeschönt wird der Erkrankung in „Lebe!“ ins Auge gesehen, hoffnungsvoll lassen die Geschichten auch Menschen, die nicht an Krebs erkrankt sind, Kraft schöpfen.

„Die Kraft liegt in den Menschen. Sie holen sie dann einfach hervor.“